Von Stykkisholmur aus bewegt sich das Schiff weiter gen Norden. Im Schein der Mitternachtssonne erstrahlt der Hornbjarg. Die charakteristische Felsnadel ragt rund 500 Meter in den Himmel. Vor schwirren Hunderte Vögel durch die Luft. Gryllteisten und Trottellummen nutzen die abgelegene Lage an der Spitze des Naturparks Hornstrandir, um in Ruhe zu nisten. Auch der Polarfuchs ist hier zuhause. Das muss ein wunderbarer Ort für eine Wanderung sein. Doch das Schiff muss weiter.

Am nächsten Morgen liegen wir im Hafen von Siglufjördur. Rund 1.200 Einwohner zählt die Handelsstadt so ziemlich in der Mitte der Nordküste. Einst lebten hier dank des Heringsbooms mehr als 3.000 Menschen. Mehr erfahren Besucher des Heringsmuseums im Róaldsbrakki. Das rotgestrichene Gebäude diente damals der Heringsverarbeitung: Hier wurden die Fische in Salz eingelegt.

Das Geschäft mit dem Hering

Das Heringsabenteuer in Siglufjoerdur startete im Sommer 1903, als norwegische Fischer die reichen Fanggründe entdeckten. Innerhalb von 40 Jahren mauserte sich der kleine Ort zu einer ansehnlichen Stadt – mit 23 Orten, an denen der Hering gesalzen wurde und fünf verarbeitenden Fabriken. Siglufjördur wurde zu einem der wichtigsten Häfen Islands, in manchen Jahren belief sich der Heringsexport auf ein Fünftel aller nationalen Exporte.

Natürlich zog das „Silber des Ozeans“ Geschäftsleute und Arbeiter an. Siglufjördur wurde in Anlehnung an den Goldrausch Alaskas als „Klondike des Atlantiks“ bezeichnet. Doch mit immer effektiveren Fangmethoden sanken in den 1950er-Jahren die Erträge. Und Island war nicht das einzige Land, das das Geschäft mit dem Hering für sich zu nutzen suchte. Die Bestände wurden überfischt. 1969 endete das lukrative Geschäft recht abrupt: Der Hering kam nicht mehr in den Siglufjoerdur.

Julie atmete tief ein und aus, während sie die ungewöhnlich warme Mittagssonne genoss und durch Siglufjördur lief. Das verschlafene Kaff hatte vor ein paar Jahrzehnten zu den fünf größten Städten Islands gezählt. Dank des Heringshandels musste im Sommer eine Menge los gewesen sein. Aus heutiger Sicht war das kaum vorstellbar. Lediglich eine Handvoll Fischerboote lag im Hafen. Das knallrot gestrichene Museum hatte geschlossen.

Aber der Ort wirkte mit seinen vielen bunten Fassaden freundlich und der Landschaftsrahmen war einmal mehr atemberaubend: Von drei Seiten legten sich Bergketten um Siglufjördur, manche der felsigen Rücken waren noch von Schneeresten bedeckt. Und nun wurde die geschützte Idylle von diesem Schiff mit einem ungeklärten Todesfall an Bord heimgesucht. Kein Wunder, dass die Einwohner der Stadt sich scheinbar versteckt hielten. Als könnten sie das Unheil ahnen.

aus: „Verliebt in einen Mörder“ von Jennifer Summer

1989 begannen die Einwohner Siglufjördurs ihren Ort aus dem Dornröschenschlaf zu wecken, indem sie eine Wiedereröffnung des Róaldsbrakki als Museum anstrebten. Ihre Mühen wurden belohnt, das Heringsmuseum trägt inzwischen stolz als einziges isländisches Museum den Titel European Museum Award. Heute gehören auch eine Fabrik und ein Bootshaus zur Ausstellung. www.sild.is

Schöne Künste in Siglufjördur

Siglufjördur hat noch mehr Sehenswürdigkeiten zu bieten: Im Folkmusik-Zentrum lernen Touristen viel über die isländische Musik. Die Ausstellung im sogenannten Madam-house bewahrt die Sammlung des isländischen Pfarrers Bjarni Thorsteinsson, der von 1861 bis 1961 lebte und Artefakte der traditionellen Musik sammelte. Passend dazu findet einmal im Jahr ein Folk-Festival in Siglufjördur statt. www.folkmusik.is

Wer der isländischen Sprache mächtig ist, könnte auch von einem Besuch des Poesiezentrums profitieren. http://ljodasetur.123.is. Und die Region Fjallabyggdar hat auch ein Kunstmuseum – mit rund 130 Bildern und Skulpturen, darunter sogar ein Salvador Dalí! Weitere Informationen gibt es leider nur auf isländisch auf der Homepage http://listasafn.fjallabyggd.is

Mehr Island gibt es in meinem Roman „Verliebt in einen Mörder“. Der romantische Krimi spielt auf einer Islandrumrundung und punktet mit vielen isländischen Geschichten und Landschaftsbeschreibungen. Die digitale Version ist für 3,99 Euro im Amazon Kindle Shop erhältlich.

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