Von Isafjördur aus, einem der besten Naturhäfen ganz Islands, gelangt man in die unzugänglichen Westfjorde und zum höchsten Wasserfall der Region. Aber auch das einsame Örtchen selbst ist sehenswert: Schon 1569 kamen die ersten Kaufleute hierher. Das älteste Haus Islands steht hier, das Tjöruhús aus dem Jahr 1734. Daneben die Krambud von 1761 und das Turhhús von 1744.

Die Westfjorde sind umgeben von Bergen unter 1.000 Metern Höhe und doch wirken sie gigantisch. Sie könnten noch viel höher sein, doch die Eiszeit hat ihre Spitzen zu einem regelmäßigen Tableau abgeraspelt. Die Landschaft erscheint rau und unzugänglich. Der Bus fährt durch schmutzig-braune Geröllfelder, bedeckt von großen Schneeflecken. Manchmal hängt der Schnee über den Rand eines Abhangs wie eine riesige erstarrte Welle. Am Rand der Schotterpiste steht eine Notunterkunft, nur für den Fall dass das Wetter plötzlich wechselt und man nicht mehr weiterkommt.

Im Adlerfjord sind historische Persönlichkeiten zuhause

Plötzlich tauchen mitten im Nirgendwo Häuser auf. Der Arnarfjörður – zu deutsch: Adlerfjord – war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts eine belebte Region. Hier arbeiteten Bauern und Fischer. Und der Fjord lieferte eine gute Lebensgrundlage. Im 13. Jahrhundert war hier einer der ersten Ärzte Islands zuhause: Hrafn Sveinbjarnarson soll in seiner Jugend sogar Kontakte zur ersten medizinischen Schule Europas gehabt haben – im italienischen Salerno. Allerdings wurde er am 4. März 1213 brutal vor seinem Haus erschlagen. Auch der Unabhängigkeitskämpfer Jón Sigurðsson lebte im 19. Jahrhundert im Adlerfjord. Seinem Einfluss verdanken die Isländer den freien Handel, der 1855 durch die Dänen gewährt wurde. Ihm ist heute in Hrafnseyri ein Museum gewidmet. Rund 5.000 Besucher verirren sich jedes Jahr hierher. Und nach einer Überarbeitung 2011 ist es erstaunlich modern. Die ersten Siedler lebten übrigens um 900 hier, der Friedhof neben der kleinen Kirche ist also der erste christliche Friedhof des Landes.

Der Donnernde beeindruckt

Weiter geht es zum Dynjandi, dem mit über 100 Metern größten Wasserfall der Region. An der Bergkante misst er 30 Meter, unten 60 Meter. Wenn er viel Wasser führt, sieht er aus wie ein gigantisches Brautkleid. Sein Name bedeutet übrigens „der Donnernde“ und das passt wirklich gut. Auf einem kleinen Pfad kann man bis etwa zur Hälfte der Wasserfallhöhe hinauflaufen und den feinen Nebel im Gesicht genießen. Vor dieser eindrucksvollen Kulisse wechseln Markus und Julie in meinem Roman „Verliebt in einen Mörder“ die ersten Worte. Und hier passiert auch etwas unheimliches:

Plötzlich sah sie Lea mitten im See stehen. Sie hatte vor dem großen Wasserfall die Arme weit nach rechts und links ausgebreitet. 
Julie eilte am Ufer nah an die Stelle heran und rief ihren Namen. Lea reagierte erst nach etlichen Sekunden. Zunächst nahm sie langsam die Arme herunter, dann wandte sie in Zeitlupe den Kopf. Auf ihrem Gesicht war ein schiefes Lächeln zu sehen. 

„Was machst du denn da?“ 

„Ich habe mich gereinigt. Ich habe letzte Nacht einen Geist gesehen!“ 

aus: Verliebt in einen Mörder – Jennifer Summer

Im Fischerdorf Thingeyri macht das Musikinstrumentenmuseum Party, ansonsten ist nicht viel los. Es ist Sonntag. Der Name des Ortes weist auf eine alte Thingstätte hin, also einen Versammlungsplatz unter freiem Himmel. In der Region sind viele Sagen beheimatet, darunter die Gisli-Saga. Die mittelalterliche Geschichte berichtet von drei Geschwistern, die mit ihren Eltern aus Westnorwegen nach Island ausgewandert sind, dort heiraten und in einem Konflikt geraten. Die meisten der Verwandten finden dabei den Tod. Gisli sieht im Traum wiederholt zwei Frauen – eine ist ihm zugetan, die andere will ihm schaden. Die freundliche Frau zeigt ihm sieben Lebensfeuer, sie repräsentieren seine Lebenszeit. Einige sind schon niedergebrannt. Und wie in mittelalterlichen Sagen üblich rät die gute Frau Gisli, sich vom Glauben seiner Vorfahren abzuwenden und dem Christentum zu folgen. Letzten Endes fällt Gisli heroisch im Kampf.

Gefährliches Leben in den Westfjorden

Die Westfjorde sind die einsamste Region Islands. So mancher Ort in dieser Region, die zu den ältesten des Landes zählt, wurde bereits aufgegeben. So etwa Nordstrand, das Fischen war einfach zu gefährlich. Andere Isländer verharren jedoch trotz widriger Umstände tapfer in ihrer Heimat: Die Ortschaft Flateyri beispielsweise wurde im 20. Jahrhundert von mehr als 30 Lawinen getroffen. Besonders schlimm war es im Oktober 1995, als die Bauarbeiten für Lawinenschutzmaßnahmen noch andauerten. 150.000 Tonnen Schnee begruben 45 Bewohner in 19 Häusern. Mehr als 600 Helfer suchten in völliger Dunkelheit nach Überlebenden. 25 Menschen konnten gerettet werden – ein elfjähriges Mädchen erst nach neun Stunden im Schnee. Solche spannenden Details finden Islandbesucher im Island-Reiseführer von Iwanowski. Die aktuelle Auflage gibt es hier.

weiterlesen: Akureyri – die Hauptstadt des Nordens