„Ist das Meer gerade da oder weg?“ Das ist die wohl wichtigste Frage, wenn Cuxhaven-Urlauber zum ersten Mal auf dem Weg zum Strand sind. Sanft wiegt sich das blassgrüne Schilfgras im Wind. Nein, es verrät nichts. Gespannt steigt man die Stufen zum Deich hinauf. Und dann ist der langersehnte Blick aufs Wasser da – oder eben nicht.
Der erste Eindruck bei Ebbe: Die Nordsee ist sehr ordentlich. Sie lässt nichts zurück, wenn sie sich zurückzieht. Hier und da mal eine Muschel, ein kleiner Krebs oder ein Büschel Gras. Aber das ist eher die Ausnahme. Wir laufen stundenlang über den dunklen, erstaunlich festen Meeresboden. Die aufgeräumte Weite des Watts macht den Kopf frei.
Neuwerk – so nah und doch so fern
In zehn Kilometern Entfernung zeichnet sich die Silhouette der Insel Neuwerk wie eine Fata Morgana am Horizont ab. Es juckt in den Füßen, die Nordseeinsel anzusteuern, schließlich ist die Wattwanderzeit vor Cuxhaven doch etwa drei Stunden lang.
Doch auf eigene Faust sollte man nicht nach Neuwerk laufen, klärt uns ein Mitarbeiter der Reederei Cassen Eils auf. Die Strömungen in den Prielen – also den Vertiefungen im Watt, in denen das Wasser auch bei Ebbe stehenbleibt – sind gefährlich. Selbst die Pferdefuhrwerke müssen an manchen Tagen umdrehen.
Wir spazieren also sicherheitshalber nur bis zum Damm hinaus, der das Elbe-Fahrwasser vom Wattenmeer trennt. Es wirkt surreal, wie riesige Containerschiffe vorüberziehen, während nur wenige Meter davor Menschen scheinbar übers Wasser gehen.
Die Gezeiten gehorchen dem Mond
Das Watt scheint wie ein magischer Ort jenseits von Zeit und Raum. In Wirklichkeit sind die Gezeiten jedoch minutengenau getaktet. Wenn am Strand von Cuxhaven die roten Signalbälle hochgezogen werden, ist es an der Zeit, zurückzugehen. Das Wasser läuft wieder in Richtung Land. Zweimal täglich wiederholt sich das Wunder von Ebbe und Flut – im Einklang mit dem Mondkalender.
Rund um Voll- und Neumond zeigt unser Trabant noch mehr Power: Das Hochwasser läuft besonders hoch auf und das Niedrigwasser fällt sehr niedrig aus – eine Springtide entsteht. Die Macht des Mondes wird greifbar, dabei beeinflusst sie so viel auf unserem Planeten: Neben den Gezeiten auch den weiblichen Zyklus und das Wachstum der Pflanzen: Viele alte Bauernregeln orientieren sich am Mondkalender.
Wir beobachten vom Cuxhavener Strand aus, wie das Wasser langsam zurückkehrt. Bei Hochwasser tut die Nordsee so, als wäre nichts gewesen. Als wäre sie nicht anders als die Ostsee. Aber sie ist etwas ganz Besonderes, weswegen das Wattenmeer auch den Titel UNESCO-Weltnaturerbe tragen darf. Ein Nationalpark mit täglich neuen Öffnungszeiten …